Der dritte und letzte Festivaltag steht an und für mich steht heute vor allem ein Highlight an, aber dazu später mehr. Los geht es auf der Jungfrau Stage mit Selbstbedienung, die auch nicht zum ersten Mal beim Greenfield mit dabei sind. Beim letzten Mal mussten sie noch kurzfristig innerhalb wenigen Stunden einspringen, so konnten die Schweizer Punker aus dem Aargau ihren heurigen Auftritt doch ein bisschen länger planen, den mittlerweile bereits dritte Auftritt seit 2017. Zusätzlich gab es dann noch Verstärkung aus dem Lager von Betontod bei einem Song. Ein durchaus gelungener Einstieg ins Festivaltreiben, nicht mehr und nicht weniger wie ich finde. Das Publikum war aber schon gut eingestimmt und durch die durchwegs guten Wetterprognosen entsprechend durstig. Wenn wir schon beim Wetter sind, hier noch das Dankeschön ans Festival für die Trinkwasserstation auf dem Gelände, die war echt Gold wert. Auch das bereitwillige zur Verfügung stellen von Sonnenschutzmittel der Sanitätsposten.
Auf der Hauptbühne dann die liveerprobten und erfahrenen ITCHY. Mehr als 1000 Konzerte schlagen zu Buche und auch eine Top 5 Platzierung in den deutschen Charts kann man im Palmare der Band lesen. Sie wurden als Partyband angekündigt und hielten auch Wort. Zudem mit hohem Unterhaltungsgrad. Sie wurden so kurzfristig abgefragt, dass sie sich erst einmal um einen Transporter kümmern mussten für das Equipement und mit dem Twingo des Schlagzeuger morgens um 4 Uhr aus dem Raum Stuttgart losfuhren.
Down To The Bunker aus Genf gibt es seit 2012 und lösen wie tags zuvor Artifiction ihren Gewinn des Greenfield Contest 2020 ein. Sie gewannen damals in Lausanne. Ehrlich gesagt hat mich die Band aber überhaupt nicht abgeholt und gingen an mir ziemlich vorbei.
Auf der Hauptbühne ging es dann mit einer weiteren Punkband weiter. Generell hatte ich persönlich den Eindruck, dass die Reanimation des Festivals doch sehr viel Punk zu bieten hatte. Betontod bezeichnen sich gerne als die grösste, kleinste Punkband. Damit sind sie auch ziemlich erfolgreich, verbuchen mit ihren beiden letzten Alben sogar Chartplatzierungen. Wenn sie es vermutlich nicht gerne hören, aber mich erinnert es stellenweise doch an die Onkelz. Wie viele deutsche Punkbands nutzen sie die Bühne natürlich auch für ihre Parolen. Sie waren an diesem Tag nicht die ersten und auch nicht die letzten die für ihre Worte einstanden.
Aus dem Tessin den Weg nach Interlaken gefunden haben auch Dreamshade. Für mich persönlich eine der grössten Schweizer Hoffnungen im Heavy Metal. Ihre Verschmelzung verschiedenster Stilrichtungen, gepaart mit Melodie und Härte hauen mich jedesmal um. So auch heute, mit einer Wucht und perfektem Sound avancieren Dreamshade immer mehr zu einer Band die demnächst auf der grossen Bühne spielen wird, garantiert. Zudem legten die Luganesi eine ungeheure Spielfreude an den Tag, die ihren Auftritt zu einem Erlebnis machten. Ich wäre gerne noch länger vor der Bühne geblieben. Nur auf der Jungfrau Stage machten sich Skillet bereit.
Für mich sind Skillet das persönliche Festival Highlight. Ich habe einige Lieblingsbands, aber genau drei sind seit Jahren die Platzhirschen auf den ersten drei Plätzen des Dani-Rankings und eine davon ist Skillet. Die Amerikaner besingen zwar Themen, mit denen ich als konfessionsloser Atheist, Null und Nichts am Hut habe, betrachte aber wie so oft die gesungene Sprache nicht wirklich als Text sondern mehr als Instrument. Und Skillet überzeugen mich nicht nur auf Platte sondern auch live, wie zuletzt im Dezember 2019 in Zürich. Die Band um John Cooper spritzt nur so vor Energie und lassen jeden Auftritt zum Erlebnis werden. Was die Amerikaner hier aber geboten haben war unglaublich zudem noch unter der brütenden Nachmittagshitze. Nicht eine Sekunde Stillstand, allen voran Corey, die sich auf der Bühne wie ein Berserker benahm. Verstärkt, wie schon oft durch eine Cellisten gab es ein Highlight nach dem Anderen. Ich zumindest war hin und weg und kann vermutlich auch nicht objektiv über die Band schreiben. Was aber Tatsache ist, Skillet hat abgeräumt nicht nur bei mir sondern auch beim Publikum. Das war für mich der Festivalauftritt schlechthin.
Nach Skillet muss ich mich erst wieder fangen, nur am Greenfield bleibt einem kaum Zeit dazu, denn da geht es Schlag auf Schlag und schon bin ich wieder unten an der Eiger Stage um mir die vor wenigen Tagen verpflichteten Annisokay anzuschauen. Ich habe schon viel von der Band gehört, aber irgendwie habe ich mich noch nie richtig mit den Deutschen befasst, was klar ein Fehler ist. Auch wenn sie heute in einer Spezialbesetzung unterwegs sind wie Gitarrist Christoph erklärt, denn als Growler springt Andreas Dörner von Caliban für den nicht anwesenden Rudi Schwarzer ein. Er tappt zwar am Anfang noch in die Springfalle rein, aber rein musikalisch merkt man nicht, dass er nur ein paar Tage Zeit hatte, das Set zu lernen, davor zolle ich grossen Respekt.
WIZO stehen auf dem Programm, wieder ein paar Helden aus meiner Punkzeit. Die ersten Zeilen von Klebstoff singe ich auch heute noch ohne Hänger locker von Hocker weg, nur fehlte der Song heute auf der Setlist. Die Band die schon mal eine neue Platte auf USB Sticks rausgegeben hat, bevor man überhaupt wusste, für was die Dinger alles gut sind. Und wer kann schon sagen sie hätten sie schlechteste Single des Jahres bekommen. Mit diesem Preis wurden sie 1992 durch die BILD ausgezeichnet. WIZO machte immer wieder durch einige ihre Aktionen von sich reden und das ist auch gut so. Eigentlich unglaublich, dass ich diese Helden des deutschen Punks heute zum ersten Mal live sehe. Ach und ich fühlte ich genau 30 Jahre zurückversetzt. Es war ein Genuss die Sindelfinger zu erleben und ich denke mittlerweile weiss die Band nun auch wo der Eiger ist. Zudem Kompliment, dass sie ihr Schlagzeug nicht nach hinten geschoben haben, sondern relativ nah am Bühnenrand, so konnte man auf dieser erstmalig so hohen Bühne auch den Schlagzeuger sehen, ohne zu klettern. Zudem hatte die Security schon richtig viel Arbeit um die Crowdsurfer raus zu fischen, was eigentlich am Greenfield mit einer gelben Karte geahndet wird aber ich bisher noch nie gesehen habe. Auch cool verzichteten WIZO auf ihr Ace of Base Cover All That She Wants, was sie bei vielen in den 90er Jahren auf den Radar brachten
Gern gesehene Gäste am Greenfield sind auch immer wieder Bury Tomorrow aus Southhampton. Das letzte Mal 2018 auf der kleinen Bühne durften sie erneut am gleichen Arbeitsort wieder ihre Schicht ablegen. Ich blieb aber auch hier nicht lange vor der Bühne kleben und machte mich nach den drei Songs aus dem Fotograben wieder auf um die Seite zu wechseln.
Weiter geht es mit dem skandinavischen Block. HammerFall kommen auf die Bühne. Was ich damals 1997, als ihre Debütalbum erschien, als die Wachablösung im Bereich des True Metals bezeichnete und mir dabei nicht nur Freunde schuf, wurde irgendwie wahr. Die Band selbst hat sich trotz den textlichen Parallelen übrigens nie zum True Metal bekannt. Eine neue Welle des Power Metals wurde losgetreten und auch heute noch 11 Alben später beweisen HammerFall immer noch, dass sie trotz der enormen Konkurrenz zuoberst in der Liga mitspielen und es war auch schon richtig voll der Bühne, jetzt wo die Sonne langsam unterging und nicht mehr gnadenlos von oben runterbrennt. Dafür lassen HammerFall nicht anbrennen. Sie boten einen astreinen Gig ab und zählten für mich ebenfalls zu den Gewinnern des Festivals, wie viele andere auch.
Von Schweden geht es direkt nach Finnland zu Battle Beast. Die Band um Frontbiest Noora hat in meinen Ohren zwar ein wenig eingebüsst seit dem Abgang von Anton Kabanen. Anders rum ist die Band aber musikalisch erwachsener geworden. Geblieben sind die immer noch die Ohrwürmer die man imstande ist zu Schreiben und die zünden natürlich gerade live unglaublich. Noora erschien auf der Bühne in einem Kostüm welches mich an die böse Königin aus Schneewittchen erinnert. Ich weiss ja nicht wer vor Jahren auf die Idee gekommen ist, Noora jeweils in solch ein Gewand zu stecken. Mir hat sie früher «unverkleidet» wesentlich besser gefallen, da natürlicher. Sie ist aber auch der einzige Aktivposten in der Band, der Rest bleibt eher vorne am Bühnenrand an
dem Mikros kleben. Viel Platz hätten sie neben Noora aber auch nicht gehabt, den sie braucht die Bühne mehr als viele ihrer Kollegen/innen.
Während am Horizont über dem Thunersee die Sonne schon längst untergegangen ist spielen Bring Me The Horizon eine ihrer atemberaubenden Liveshows. Ein wirklich beeindruckender Bühnenaufbau mit mehreren Ebenen laden die Band zum Austoben ein. Sänger Oli jedoch stösst bei mir auf keine Gegenliebe. Ich hatte am Vortag mit Pam vom Metalinside schon eine Diskussion über, was man auf der Bühne machen darf und was nicht. Ich bin da einiges toleranter als mein Kollege. Aber was ich mir anhören musste, finde auch ich nicht in Ordnung. Wer sein Publikum mit Pussy beschimpft und sonstigen Kraftusdrücken, hat in meinen Augen keine Ahnung wer ihn zu dem gemacht hat was er gerade ist. So bin ich echt frühzeitig losgelaufen und mir die wirklich beeindruckende Show nicht mehr länger angeschaut.
Der letzte Auftritt auf der Eiger Stage gehört Agnostic Front, den Mitbegründern der New Yorker Hardcore Szene. Wer nach 35 Jahren Karriere eine Album mit dem Titel «Get Loud» raushaut macht schon einmal eine Kampfansage. Und wie es losgeht, auch nach all den Jahren nicht einen Moment leise. Vinnie Stigma haute alles aus seinen Saiten raus, riss die wohl agressivsten Grimassen und verwandelten den Platz vor der Bühne zu einem Hexenkessel. Ich habe mir Agnostic Front schon länger nicht mehr aufgelegt, was eindeutig ein Fehler ist und ich zu Hause dann natürlich nachgeholt habe und in Zukunft auch vermehrt wieder machen werde. Die Band zündet einfach, ein würdiger Abschluss auf der Eiger Stage
Das letzte Konzert steht an, wir blicken zurück auf drei Festivaltage. Billy Talent stehen auf dem Programm. Die Kanadier mit dem eigenen Gesangsstimme von Benjamin Kowalewicz wandelten sich von einer Punkband immer mehr zu einer Rockband. Erweisen sich auch als würdiger Headliner die im Nachgang betrachtet doch mehr Hits in peto haben als es für mich im ersten Augenblick ausgesehen hat. Der Posten am Schlagzeug wird diesmal von Loel Campbell besetzt, der Jordan ersetzt der gerade mit Alexisonfire unterwegs ist, der wiederum Aaron ersetzt der leider wohl doch sehr unter seiner MS-Erkrankung zu leiden scheint. Live gedenkte man auch ihren Vorbildern und so kamen die Foo Fighters zu Ehren, was doch ein wenig Wehmut über den kürzlichen Tod von Taylor Hawkins aufkommen liess. Nachdem ich meine Bilder auf der Speicherkarte hatte, genoss ich den Auftritt noch von weiter hinten und ging völlig zufrieden am Schluss zurück ins Bett.
Das Greenfield Festival ist so bereits wieder Geschichte, die Reanimation mehr als geglückt auch wenn die Organisation in sprichwörtlich letzter Minute noch ausgefallene Bands zu ersetzen hatte. Mit dem Besucherrekord von 84’000 Besuchern, verteilt über die drei Tage, stösst man so langsam auch an die Kapazitätsgrenze von 90’000. Wer weiss vielleicht hängt bereits im nächsten Jahr das „Ausverkauft“ Schild an der Tür. Die Wildcard Tickets waren zumindest schon einmal flugs weg, wer sich die aktuellen Tickets ergattern möchte kann dies auch gleich hier tun. Erste Bandbestätigungen soll es, wenn alles klappt, bereits im September geben.