Als vor einer Weile DragonForce für ein Konzert im Komplex 457 angekündigt wurde, wusste ich, dass ich dahin muss, um die Hochgeschwindigkeits-Nintendo-Rocker endlich wieder einmal live zu erleben. Ist mittlerweile doch schon eine Weile her seit dem letzten Mal. Die als Double-Headliner angekündigte Tour hatte mit Amaranthe zudem auch noch ein weiteres überzeugendes Argument den Samstag in Zürich zu verbringen. Ist zwar für mich als Schwyzer sowas wie in Gang ins grenznahe Ausland, die Illusion, dass solch ein Package aber bei mir um die Ecke irgendwo Platz finden würde, habe ich ja schon längst begraben. Wenn zwei Headliner spielen, muss per se aber immer noch einer die Vorgruppe mimen. Diesen Part übernehmen heute die Moldawier von Infected Rain. Meine Anreise in den blau/weissen Kanton verläuft dennoch, ohne dass ich die ID zeigen musste. Diese hätte nämlich sicher zu Fragen geführt, da sie aufgrund Beantragung einer neuen Plastikkarte, gelocht wurde. Vor Ort angekommen, rechtzeitig zur Türöffnung, ist die Schlange schon ganz schön lang ums Eck rum. Obwohl ich später vernehmen werde, dass diverse Zuschauer zu spät kamen, da in der Letzistadt auch noch das Runde ins Eckige gespielt wird. Ich hatte da wohl wieder Glück mit der Anreise, sonst hätte ich vermutlich wieder ein paar Schimpfwörter in Richtung der Schwalbentanten ausgepackt hätte. Schnell und unkompliziert den Zugang zum Fotograben abholen und schon geht es rein ins Geschehen.

Das Komplex 457 ist heute auch restlos ausverkauft und an der Abendkasse gibt es keine Tickets mehr. Das Package spricht also auch viele andere Fans an, nicht nur mich. Zudem gibt es heute auch reichlich Platz im Fotograben, der gerade einmal von drei Fotografen besiedelt wird, dafür jedoch auch noch von der genau gleichen Anzahl an offiziellen, der Band Infected Rain zugeordneten «Fotografen», besetzt wird, die mit ihren Handys ihre Aufnahmen machen. Live habe ich Infected Rain bisher noch nicht gesehen, habe natürlich aufgrund der Popularität von Elena Cataraga, bekannt als Lena Scissorhand, doch schon einiges der moldawischen Band mitgekriegt. Lena begrüsst dann auch locker mit einem «Hoi Zürich» erst einmal das Publikum, bevor es dann losgeht. Sie ist natürlich Dreh- und Angelpunkt auf der Bühne. Obwohl man Gründer und Gitarrist Vadim Ozhog es ebenfalls auch versteht die Blicke auf sich zu ziehen. Der Bursche ist ein Wirbelwind und das Bündel purer Energie. Ich glaube Ritalin kennt man in Moldawien auf alle Fälle nicht. Seine Performance auf der Bühne ist alleine schon beim Zusehen schweisstreibend. Bassistin Alice und Schlagzeuger Eugene liefern souverän das Fundament für die Saiteneskapaden von Vadim. Auffallend ist, dass Lena sich zwar sehr mit dem Publikum verbunden zeigt und auch immer wieder das Publikum zwischen den Songs animiert. Während den Songs sich aber gerne abdreht und völlig in ihre Welt eintaucht und sich dadurch dem frenetisch feiernden Komplex von der Seite zeigt. Dies bessert sich dann aber zunehmend und sie zeigt sich so publikumsnah wie auch nur möglich. Steigt sogar runter an die Absperrung, greift das eine oder andere Handy und macht Selfies. Richtig rund geht es dann beim Abschlusssong «Sweet, Sweet Lies» zu und her und das Komplex lässt sich zu einem Circlepit hinreissen. Das Versprechen, dass die Band 5 Minuten nach Konzertende am Merch-Stand eintrifft, habe ich jetzt nicht überprüft, da sich dieser auf der anderen Hallenseite befand und ich den Weg durch die ausverkaufte Halle nicht auf mich nehmen wollte, sondern lieber mit den Kollegen vom Metalinside gequatscht habe. Letztlich ein guter Auftritt von Infected Rain, der mich zwar nicht zum Fan der Band macht, ich bin ja auch nicht wegen ihnen hier, jedoch sichtlich einen grossen Teil der Anwesenden angesprochen hat.

Die folgende Umbaupause gestaltet sich als relativ kurz, man braucht eigentlich nur gerade das Schlagzeug wegzuräumen, das Backdrop aufziehen, das bereits aufgestellte Schlagzeug zu enthüllen und noch ein paar Bühnendekos an den Rand zu schieben. Und schon geht es los mit dem ersten der beiden Headliner, Amaranthe, die beide gemäss Running Order 75 Minuten Spielzeit zugesprochen bekommen. Das Backdrop zeigt, dass die aktuelle, gerade erst erschienene Platte «The Catalyst» im Vordergrund stehen wird. Wie sich noch zeigen wird, kommen aber nur gerade drei Songs von der Platte zum Zug und der Schwerpunkt liegt doch hauptsächlich bei «Manifest». Elize erscheint im passend dem Wetter Regenmantel, zumindest sah mir das Kleidungsstück danach aus, auf der Bühne und feuert die Triplette «Fearless», «Viral» und «Digital World» in die Menge. Neuzugang Mikael Sehlin fügt sich perfekt in das bereits eingespielte Duo Nils Molin und Elize Ryd ein, die munter untereinander die Bühnenseite abwechseln. Als Fotograf natürlich super, man kann auf Position stehen bleiben und kriegt alle vor die Linse, obwohl wir genügend Platz haben und nun wirklich nur zu dritt im Graben stehen. Die Setlist zeigt sich als sehr ausgewogen und die 16 Songs! bedienen sich gleich bei sechs Werke der Schweden. 16 Songs in 75 Minuten, da kann man sich ausrechnen, da bleibt nicht viel Zeit zum Rumdiskutieren. Dafür folgt ein Kracher nach dem andern, die Sänger wechseln sich schön regelmässig ab und lassen auch ihre Mähne im Kreise rotieren, so braucht es auch keine Ventilatoren auf der Bühne. War der Sound bei Infected Rain ja noch für Komplex Bedingungen akzeptabel, ist es bei Amaranthe jedoch schwer an der Schmerzgrenze. Teilweise erkenne ich die Songs erst nach längerer Spielzeit und dies, obwohl ich von mir behaupte mit dem Material von Amaranthe ziemlich vertraut zu sein. Stehe aber auch nicht optimal in der Halle, sondern schön brav am Rande unter dem Balkon. Das Publikum indes lässt sich davon nicht wirklich beeindrucken und singt die grausam in die Gehörgänge fressenden Ohrwürmer textsicher mit. Mit «Crystalline» geht man dann ein wenig vom Gas, etwas Durchatmen kann ja nicht schaden. Hellhörig werde ich dann kurz vor der zweiten Ballade «Amaranthine», da wird ein Keyboard auf die Bühne geschoben und Olof bedient sich beim Soundtrack von Herr der Ringe. Tja, da ist es dann natürlich um mich geschehen als Hardcore Fan von Tolkiens Werken. «Amaranthine» selbst präsentiert sich aber richtig wuchtig und mir fröstelt es schon fast, balladesk angefangen steigert sich der Song in einen musikalischen Epos, wie ich ihn nicht erwartet habe, ganz grosses Kino. Nils lässt sich dann doch für eine längere Ansage hinreissen und wiegelt das Publikum richtig gehend auf, nur um zu beweisen, dass das Zürcher Publikum besser ist als das der vorangegangenen Veranstaltungen. Ich bin mir sicher, dies wird er auf allen weiteren Daten dann auch noch machen. «Drop Dead Cynical» macht den Rausschmeisser und hinterlässt nicht nur mich mit einem breiten Grinsen in der Halle zurück.

Bevor nun meine Nintendo Rocker die Bretter, die die Welt bedeuten betreten muss nun aber die Bühne entsprechend hergerichtet werden. Vieles wird von der Bühne via Fotograben runtergehievt um es über den Seitenausgang wegzutransportieren. Ist natürlich für die Roadies ein wenig umständlich, aber ich denke die haben bestimmt schon schlimmeres angetroffen. Das die Bühne im Komplex 457 nicht gerade die breiteste ist, bekommt man dann aber schnell zu Gesicht. Drei Mikrofonständer am Bühnenrand, ein Sänger der zum ohne diesen auskommt. Ein Podest damit sich die Flitzefinger der sechs Saitenfraktion präsentieren kann und dann auch noch die beiden, ich sag ja Nintendo Rocker, zwei Spielautomaten auf jeweils auf jeder Seite. Es scheint, dass es auf der Bühne genau so kuschelig wird wie im ausverkauften Konzertsaal. Und es soll noch enger werden, dazu aber später mehr. Ein Blickfang sind aber auch die beiden Bassdrums mit ihren stetig wechselnden holografischen Bildern. Also viel Elektronik auf der Bühne. Nur das Licht ist etwas suboptimal, damit man die Gesichter gut sieht, kommen vorne noch ein paar Scheinwerfer hin, die die rote Farbe fast schon gemietet haben. Weshalb solch eine Band in dieser Stilrichtung die Bühne so intensiv rot einfärbt, als wäre man auf einem blutüberströmten Schlachtfeld, versteh ich zwar nicht, muss man aber auch nicht. Ich bin ja ganz froh wurden nicht noch die Lichttraversen, welche ich bei anderen DragonForce Konzerten gesehen habe, nicht auch noch aufgestellt wurden, vermutlich definitiv aus Platzmangel. Zugute kommt, dass die Anzahl der Drei-Minuten-Songs im Repertoire von DragonForce sehr rar sind. So hat man für die ersten drei Songs auch schön Zeit. «Revolution Deathsquad» eröffnet und lässt «Cry Thunder» folgen bevor mit dem Zelda Song Power of the Triforce der erste Song vom gestern erschienen Album den Einzug in die Setliste findet. Und wenn es um Zelda geht, muss auch ein Huhn her. Dieses Plüsch-Poulet hat zwar eher die Grösse eines Truthahns. Sänger Marc fordert das Publikum auf während der Dauer des Songs durch die Halle fliegen zu lassen, so dass es zum Ende der Nummer wieder bei ihm vorne ankommt. Was zu meiner Verwunderung sogar klappt, da war wohl kein Fuchs in der Halle anwesend. Die Ausflüge von Sam und Herman auf die Spielautomaten sind für die Gitarrenhelden auch nicht ohne, wie gesagt die Bühne ist nicht gerade die breiteste, und dann hängen da noch die Wedges des PA-Systems von der Decke. Naja, Bewegungsfreiheit sieht anders aus und die SUVA hätte wohl auch keine Freude gehabt, wenn da einer runtergepurzelt wäre. Auf dem Podest zelebrieren die Musiker natürlich ihre musikalischen Künste und es ist echt wahnwitzig, wie die auf ihren Frets Fingergymnastik betreiben. Vermissen tue ich aber definitiv den Keyboarder, was der leider 2018 ausgestiegene Vadim jeweils hinter seiner Tastenburg oder an der Keytar zeigte war schon auch ziemlich krass. Dafür hat man sich Verstärkung an einer dritten Gitarre gesucht, was ich persönlich zwar nicht verstehe, ist für den mit einem Dauergrinsen ausgestatteten Billy Wilkins aber sowas wie der Lottosechser. Er war einer der Nintendo (da haben wir es wieder) Spieler, die bei Guitar Hero sich durch «Through The Fire And Flames» gespielt hat und auch auf TikTok Millionen von Klicks holte. Dies veranlasste Herman Li mit ihm in Kontakt zu treten, holte ihn in Billy’s Heimatstadt New York auf die Bühne und von da an gehört er zum Tourtross. Da hätte auch ich ein Dauergrinsen, denn er steht den beiden in Sachen Geschwindkeit in nichts nach. Auch wenn ich mich immer noch Frage, ob es denn wirklich einen dritten Gitarristen bei DragonForce braucht. Auch Bassistin Alicia Vigil erlebe ich heute zum ersten Mal live. Gefühlt und optisch steht sie jedoch nicht so stark auf dem Gaspedal wie der zu Kreator gewechselte Frédéric Leclercq. Was ich aber gar nicht verstehe ist, wenn man als Headliner bei 75 Minuten Spielzeit von zehn Songs gleich zwei Coversongs in die Setliste packt. Erst lässt Celine Dion von der Titanic grüssen und dann folgt auch noch Taylor Swift. Sie werden zwar stramm ins Tempo von DragonForce adaptiert und lassen die Menge brodeln, gerade bei «My Heart Will Go On» singt der Saal lautstark mit, aber muss das sein. DragonForce haben nach neun Longplays mehr als genug Songs in peto, lässt aber Perlen wie «Seasons», «Heroes Of Our Time» oder «Operation Ground And Pound» aussen vor, echt unverständlich und gibt eindeutig Abzüge in der B-Note. Nun aber wird es richtig eng auf der Bühne. Denn wer Dragon im Namen stehen hat, muss auch Dragon auf die Bühne bringen. Und sie machen es, zwei richtig, richtig grosse Drachenköpfe werden aufgeblasen und lassen nun definitiv nicht mehr viel Bewegungsfreiheit übrig und dies bei der Drachennummer schlichtweg. Klar mit «Through The Fire And Rain» lässt nichts mehr anbrennen, der Song ist eine Machtdemonstration sondergleichen. Übrigens ist auch der Sound bei DragonForce um einiges besser als noch zuvor bei Amaranthe, so dass die Hochgeschwindigkeitsrekorde auf dem Griffbrett wahrnehmbar sind.

Alles in allem ein gelungener Samstagabend mit drei motivierten Bands, die ein ausverkauftes Komplex 457 vorfanden, die alle Bands frenetisch abfeiert. Dieses Package war also definitiv ein guter Griff des Veranstalters. Infected Rain lieferten solide ab, Amaranthe schmissen mit Hymen nur so um sich und DragonForce, wegen ihnen war ich hauptsächlich da, enttäuschten nicht, bis auf die Coverversionen. Das Videostudium im Vorfeld konnte eigentlich auch vernachlässigt werden. Da wäre bei DragonForce nämlich noch ein paar Gimmicks mehr im Gepäck gewesen. Wer weiss vielleicht sieht man diese dann im August am Rock The Lakes. Sie werden dort dann wieder in der Schweiz gastieren, genauso wie Amaranthe. Wer also keine Tickets fürs Komplex ergattern konnte, da ausverkauft, hat nochmals eine Chance in diesem Festivalsommer.