Im Jahre 2008 ging ein Traum des damals knapp 40-jährigen Schreiberlings in Erfüllung. Produzent und Ausnahmegitarrist Sascha Paeth konnte Tobias Sammet davon überzeugen, dass das kongeniale Scarecrow auf die Bühne zu bringen. So kam es, dass Avantasia ihre allererste Liveshow in Huttwil zelebrierte und ich zum Zeitzeugen wurde. Mittlerweile sind einige Alben mehr dazugekommen und Mastermind Tobias Sammet schafft es immer wieder Gastmusiker zu rekrutieren, sowohl für die Platten als auch für die grossartig inszenierten Liveshows. Das Kind Avantasia wurde so erwachsen und stellt immer wieder, wenn sie auf Tour gehen, ein Höhepunkt des Konzertjahres dar, so war es zumal in der Vergangenheit, ob dem immer noch so ist, werde ich in den nächsten paar Worten (ich zitiere jetzt Tobias Sammet; ich bin ja kein Mann der grossen Worte) versuchen widerzugeben. Bisher ist das Unterfangen Avantasia, bis auf eben ihren ersten Auftritt, immer im Konzerttempel Z7 in Pratteln aufgetreten, teilweise auf einer Tour auch gleich mehrere Tage hintereinander, um die Nachfrage der Tickets zu befriedigen. Heuer ist alles ein wenig anders, sie brechen aus dieser Norm aus und kommen zum ersten Mal nach Zürich (genauer Dübendorf) in die «The Hall». Nicht alle können diesen Entscheid nachvollziehen, soll Tobi früher einmal gesagt haben, er werde immer wieder ins Z7 zurückkehren, da man dort von Anfang an, an ihn geglaubt habe. Je grösser jedoch der Erfolg, desto grösser fallen auch die Bühnenproduktionen aus, die ein Konzert nicht nur aus musikalischer Sicht zu einem Erlebnis lassen lässt. Zudem, welcher Künstler kann schon sagen, was aus seiner Karriere einmal werden wird. Soll er dann immer in dieser Venue auftreten, wo er seine ersten Konzerte gespielt hat. Tja, dann würde es keine dieser grossen Veranstaltungsorte geben, die für Konzerte geplant wurden. Die Begrüssungsorgie mit bekannten Gesichtern geht auf alle Fälle schon vor der Tür los. Ich bin erfreulich gut durch Zürich gekommen und entsprechend schon früh vor Ort und freue mich wie ein kleines Kind auf die Show, die letzte Avantasia Show liegt bei mir ja auch schon ein paar Jahre zurück.

Frühzeitig werden wir von Good News angeholt und können unseren Weg zum Fotograben begehen. In der Halle angekommen, staune ich erst ab dem Zuschaueraufkommen. 10 Minuten vor Showbeginn ist sie gerade einmal etwa halbvoll. 2000 Tickets sollen verkauft worden sein. Wie mir mitgeteilt wird, dementsprechend hat es in einer Halle mit einer Kapa von 5000 natürlich so seinen Platz. Dies, und so viel vorweg, wird der Stimmung jedoch in keinster Weise schaden, im Gegenteil. Die Bühne wird noch verhüllt von einem grossen Banner als das Intro erklingt. Vorhang fällt und wir Fotografen dürfen zu «Creepshow» in den Graben eintauchen. Logischerweise gibt es in der Mitte vor der Bühne ein kleines Gedränge, denn die Hauptakteure werden sich hauptsächlich hier tummeln, allen voran Cheflenker Tobias Sammet. Der Graben bietet jedoch neben Länge auch genug Breite, so dass man locker aneinander vorbeikommt, um die Bilder zu machen. Bei Creepshow zeigt der Zeremonienmeister schon einmal was er mit; grösste Avantasia bis dato Show, meint. Hinter seinen Friedhofsgitter wetteifern schon einmal die Pyros mit den CO2 Kanonen. Gleich danach mit «Reach Out For The Light» ein erstes Highlight des Debütalbums. Im Original von Ernie aka Michael Kiske gesungen, kommt nun zum ersten Mal die Seven Spires Frontfrau Adrienne Cowan zum Zuge und überzeugt gleich einmal mit ihrer Wahnsinnsstimme. Keine Sekunde lässt sie mich den Helloween Frontmann vermissen. Nach alt kommt auch gleich wieder neu. In Form von «The Witch» darf nun auch Kamelot Sänger Tommy Karevik auf die Bühne kommen. Er hat diese supereingängige Hymne auch im Original eingesungen und ist nun zum ersten Mal mit Avantasia auf Tour. Ich liebe ja seine Stimme und auch den Ausdruck, welchen er in jede Silbe legt, richtig stark. Nun ist die Zeit im Fotograben aber auch schon vorbei und Tobi meint da auch; so nun sind die Fotografen weg und stimmt den nächsten Song an. Background Sänger und Firewind Frontmann Herbie Langhans übernimmt das Szepter, resp. das Mikrofon und ich trau meinen Ohren kaum. Zum ersten Mal überhaupt kommt auf dieser Tour «Devil In The Belfry» aus dem Scarecrow Album zum Zuge. Cool wurde dieser Song siebzehn Jahren nach Erscheinen ausgegraben und zu Liveehren getragen. Das Album «Here Be Dragons» ist knapp vor Monatsfrist erschienen und auch in den CH-Charts gleich auf Platz drei eingestiegen. Klar bildet dieses Album das Rückgrat der Show, zumindest in der ersten Hälfte. Tobi erwähnt es dann auch immer wieder, dieses neue Album und erwartet vom Publikum auch jedesmal einen Ausbruch an Begeisterung, sobald er die Worte «neues Album» erwähnt. Wird anfänglich noch ein wenig geübt, aber dann klappt auch dies. Die Sänger wechseln sich wunderbar ab und bei Song fünf «Phantasmagoria» steht bereits der Pretty Maids Sänger Ronnie Atkins auf der Bühne, bevor zu «What’s Left Of Me» sein Toxic Twin Eric Martin das Mikro an sich reisst. Er darf dann auch gleich zu «Dying For An Angel» bleiben und die Stimmung findet seinen nächsten Antriebsschub. Lauthals wird in der ganzen Halle mitgesungen. Den nächsten Song vom neuen Album (ja, man gehorcht und jubelt) «Against The Wind» leitet Tobias mit einer ungewohnt nachdenklichen Ansage ein. Eine Ansage darüber, dass es einfach immer ein paar Nörgler und Hasser gibt, egal wo und durch die sozialen Medien zusätzlich unterstützt. So gab es auch nach der Veröffentlichung des neuen Albums auch wieder ein paar Besserwisser und Nörgler. Aber man soll konsequent seinen Weg gehen und seine eigenen Ziele verfolgen. So oder ähnlich deute ich für mich seine Ansage und klatsche ihm zu, als er die Antwort auf alle diese bereit hat, die einem sagen wollen, wer und was man sein soll, nämlich Fickt Euch . Gerade rechtzeitig bevor mit dem H.E.A.T. Dauerenergiebündel Kenny Leckremo, der nächste Neuzugang der Avantasia Familie, die Bühne betritt. Nein, es ist das falsche Wort, er stürmt sie und macht vor keinem Zentimeter halt, bevor er nicht jeden berührt hat. Mit «Here Be Dragons» und «Avalon» folgen Songs Nummer 5 und 6 vom aktuellen Album. Wie sich später herausstellt, sind es auch die letzten beiden Songs aus diesem letzten Werk, ab jetzt folgt ein Feuerwerk an Hits. Man kann es schlicht als Best-Of Programm betiteln. Tobias kündigt den nächsten Song als den längsten an, welchen sie an diesem Abend spielen werden. Für mich ist der Fall klar, es kann sich nur um «Let The Storm Descend Upon You» handeln, und ich liege goldrichtig. Damit ist es nun um mich geschehen, die Eskalationsstufe geht ins unermessliche, meine Stimmbänder neigen sich dem Kollaps entgegen als Ronnie Atkins und Herbie Langhans mit einsteigen. Jetzt jagt wirklich eine Killernummer die andere «Promised Land» folgt und es wird dunkel auf der Bühne. Was ist den jetzt los? Ein Thron wird auf die Bühne gerollt, braucht Tobi nun doch auch einmal eine Pause? Darauf sitzend erklingen die ersten Akkorde von «The Toy Master», im Original von Grossmeister Alice Cooper eingesungen (ja er kriegt sie alle, dieser Herr Sammet, nur Bruce Dickinson fehlt ihm noch). Verdammt nah am Original schafft aber auch der Meister selbst diesen Song zu singen, sitzend auf seinem feuerspukenden Stuhl, was für eine geile Szenerie. Atemringend, nicht die Protagonisten auf der Bühne, sondern ich, lasse die folgenden Songs über mich prasseln. Bei jedem anderen Konzert wäre ich mittlerweile wohl schon längst auf dem Heimweg, als nun die Übernummer vom Debütalbum «Farewell» über die hervorragend eingestellte Soundanlage erschallt. Ein Händemeer wiegt sich von einer Seite zur anderen als nun auch die zweite Background-Sängerin Chiara Tricarico ihre Soloeinsätze bekommt. Sorry Tobias, wie kannst du mir dies antun, mich jagt eine Hühnerhaut nach der anderen. Lauthals, aber vermutlich ganz schön falsch, krächze ich jede Silbe des kongenialen Refrains mit. Auch heute noch, 24 Jahre nach Erscheinen dieser Nummer, steht für mich der Refrain als Paradebeispiel für die Silbenaufteilung der Worte zu den gespielten Akkorden da. Aber es ist ja noch nicht fertig dieser Abend, es folgt «The Scarecrow». Muss man zu dieser Nummer noch etwas schreiben, ich glaube nein. Überhaupt das gesamte The Scarecrow Album ist ein Meisterwerk, stellt es doch heute mit sechs Songs auf der Setliste die gleiche Anzahl der gespielten Nummern, wie das aktuelle Album. Da muss man wohl über die Wichtigkeit des Albums keine Worte mehr verlieren. Den Abschluss des regulären Sets dann wieder eine Überraschung, seit mehr als 10 Jahren auf keiner Setliste mehr aufgetaucht «Death Is Just A Feeling», ich schmeiss meine Stimmbänder nun endgültig weg. Zum Glück gibt es nun eine kleine Verschnaufspause. Der Zugabenblock lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Dazu wird aber ein Flügel auf die Bühne gerollt. Das Tobias Sammet auch die Tasten beherrscht, ist ja hinlänglich bekannt und so grenzt sein Kommentar, dass sein Geltungsbedürfnis grösser ist als ich zu blamieren, wohl eher als Understatement, wenn er solo auf der Bühne in die schwarz-weissen Tongeber haut. Sein Spruch; wir setzen nicht auf KI, sondern auf menschliches Versagen, ist jedoch etwas für die Geschichtsbücher. Dies hat sich wohl für immer in mein Hirn gebrannt und geht definitiv als Spruch des Jahres in die Annalen ein. Überhaupt haut er jetzt ein paar echt geile Sprüche raus. Seinen wohl längsten Weggefährten, Schlagzeuger Felix Bohnke stellt er als mit Holzstöcken auf Tierfelle hauender Höhlenmenschen vor. Dabei erklingt der Basslauf zu «Lost In Space». Hier kann ich es mir nun für einmal nicht verkneifen. Ich war ja früher sehr sehr aktiv als DJ unterwegs, heute auch noch, aber nicht mehr so intensiv und nur wenn sich die Gelegenheit ergibt. Von daher bin ich durchaus mit einigen Songs vertraut. Also hört euch einmal von der Gruppe Bad Boys Blue den Song Come Back And Stay an. Die finale Nummer ist eigentlich auch gegeben, das Medley aus «Sign Of The Cross» und «The Seven Angels» fehlt nie, nur fällt die Spiellänge hin und wieder etwas unterschiedlich aus.

Ein genialer Konzertabend geht nach etwas mehr als 2.5 Stunden zu Ende. Was wohl daran liegt, dass Tobi heute nicht ganz so lange geplaudert hat wie auch schon, sonst wären es bestimmt wieder die angekündigten drei Stunden geworden. Was gegenüber früheren Shows gefehlt hat waren die Sidekicks zu Musikern wie Oliver Hartmann oder auch Michael Kiske, die er immer wieder gerne als Zielobjekt seiner Sprüche gemacht hat. Beide wurden aber stark vertreten durch die verschiedenen Sänger als auch durch den weiteren Familienzuwachs Arne Wiegand and der zweiten Gitarre, er der bei Santiano live in die Tasten haut und an Coolness auf der rechten Bühnenseite kaum zu übertreffen ist. Die gesamte Band legte ein perfektes musikalisches Fundament für die Sänger hin. Ich bin mir auch sicher, nach dem Konzert wird die Band hinter der Bühne noch den, laut Tobi, 84. Geburtstag von Jesus dem Keyboarder Miro Rodenberg gefeiert haben und sowie das Publikum auch noch einmal ein Happy Birthday angestimmt haben. Für mich hätte das Konzert locker noch eine Stunde weitergehen können, wenn auch nicht für meine Stimme. Am meisten freue ich mich aber auf die folgende Kampfansage von Tobias Sammet; Solange Avantasia auf Tour gehen, so lange werden sie immer wieder in die Schweiz kommen!