Es lässt sich eigentlich fast keine Superlative finden für den Event der gestern in Goldau stattgefunden hat. Paulo Mendonca zusammen mit seiner Band gab sich die Ehre und gastierte im 2Inch Records Studio von Ralph Zünd. Anlass dazu war die zweite Straight2Tape Session in der Geschichte dieses noch jungen Formates, wo Musik erlebt werden kann. Straight2Tape will den Zuhörer wieder auf ungezwungene Art und Weise Musik spüren lassen und der Musik wieder den Stellenwert vermitteln den die Musik verdient hat. In unserer schnelllebigen digitalisierten Welt geht es leider immer wieder unter, wie aufwendig aber auch schön Musik sein kann. Zum Glück für diese Form der Kunst findet allgemein auch schon wieder ein Umdenken statt, so verkaufen sich mittlerweile Plattenspieler teilweise wieder besser als CD-Spieler, in England werden mehr Vinylplatten verkauft als CD’s. Die Presswerke für Vinylplatten haben schon fast unglaubliche Lieferfristen so dass sich Veröffentlichungen immer wieder verschieben müssen. Dies auch weil viele Bands mittlerweile ihre digitalen Geschichten nun doch auch wieder auf Vinyl erzählen möchten.
Analog ist das Stichwort, bei Straight2Tape spielt sich der komplette Aufnahmeprozess analog ab. Es braucht keine Computer, keine digitalen Hilfsmittel fürs Editieren der Signale. Einzig eine Band, ein Mischpult wo alle Signale zusammenkommen und weitergeleitet werden auf ein Spulenband. Mit Gerätschaften teilweise aus dem Jahr 1971 ist das Equipement sogar älter als manch ein Zuschauer.

Straight2Tape
Straight2Tape

Zuschauer auch gleich das nächste Stichwort. Normalerweise nehmen Bands hinter verschlossenen Türen ihre Platten auf. Ein Prozess der oftmals über mehrere Monate geht. Teilweise in unterschiedlichen Studios auf unterschiedlichen Kontinenten, so dass sich die einzelnen Musiker gar nicht mehr sehen und trotzdem «zusammen» eine neue Platte veröffentlichen. Straight2Tape sprengt aber auch diese Grenzen. Zuschauer, Fans und Musikliebhaber haben hier die Möglichkeit live dabei zu sein wenn «ihr» Künstler eine neue Platte aufnimmt.
So geschehen gestern mit Paulo Mendonca, Toni Farris, Frank Nilsson und Jesper Petersson. Eine überaus gut gelaunte Band freute sich auf diese auch für sie ungewöhnliche Erfahrung. Paulo, mit dem ich ein paar Worte gewechselt habe, meinte sogar, diese Art eine Platte einzuspielen vermittle ihm eine unglaubliche gute Energie. Die Emotionen des Publikums erzeugen einen positiven Druck auf ihn, den er gerne einfängt und auf seine Musik überträgt. Paulo liebt es so zu spielen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die Band und auch Ralph Zünd hier einen harten Arbeitstag haben, die Vorbereitungen dazu will ich gar nicht erwähnen. Es handelt sich nicht um ein 90 Minuten Konzert. Es wird eine Platte aufgenommen und die Band hat sechs Stunden voll konzentriert zu sein. All das mit Publikum im Rücken. Umso erstaunlicher wie locker die Atmosphäre war. Nach meist vier Songs war eine kleine Pause angesagt und die Band mischte sich unter das Publikum, trank und ass mit ihnen und stellte sich bereitwillig allen Fragen die auftauchten. Es war ein Backstageraum vorhanden, den die Band jedoch nicht zu benutzen schien. Viel lieber suchten sie die beeindruckten Studiobesucher auf um sich dem Smalltalk zu stellen, bevor es dann wieder voll konzentriert an die nächsten vier Songs ging.

Mittendrin statt nur dabei
Mittendrin statt nur dabei

Es waren drei Aufnahmesession veranschlagt, als Besucher konnte man sich einen Sitzplatz in einem der verschiedenen Aufnahmeräume für Gitarre/Gesang (Paulo Mendonca, Piano/Hammond (Toni Farris), Bass (Jesper Petersson) oder Schlagzeug (Frank Nilsson) sichern. Dort während den Aufnahmen auf Berührungsdistanz dabei sein, ausgerüstet mit einem Kopfhörer. Ich, selber auch Musiker, weiss ja wie so ein Studiotag normalerweise abläuft, es ist Stress und alle sind angespannt und fokussiert. Es war hier irgendwie anders, man spürte diese ganz spezielle Magie die in der Luft lag, teil eines Entstehungsprozesses zu sein. Ich denke viele Gäste haben zum ersten Mal ein Tonstudio von ihnen gesehen, dementsprechend war schon beim Betreten des Raumes schon viel Staunen angesagt. Es ist irgendwie ein Konzert, aber irgendwie dann halt doch wieder nicht. Als Einstimmung wurden dann die Hauptakteure vor dem eigentlichen Start persönlich vorgestellt. Bei einem Konzert weiss man ja in etwa was zu erwarten ist. Da Straight2Tape jedoch kein Konzert im herkömmlichen Sinn ist, spürte man schon die Neugier heraus, was kommt auf mich als Zuschauer zu? Es kam ein Funk/Rock Feuerwerk der Extraklasse aufgelockert durch die richtig geile Spiellaune der Musiker, die zwischen den Songs nicht mit Sprüchen und kleinen Witzen, meist in Richtung von Toni Farris, zu geizen wussten. Am Ende des Tages wusste ich, weshalb man einen Italiener in der Band hatte.

Paulo Mendonca und Toni Farris
Paulo Mendonca und Toni Farris

Toni war sowas wie der Blickfang im Studio. Wer bei ihm seinen Stuhl ergatterte so einen quicklebendigen vor italienischem Temperament nur so sprühenden Musiker. Unglaublich wie man sich die Musik, auch in einem Studio, so einverleiben vermag. Toni ging mit jedem Song mit, wechselte in unglaublicher Geschwindigkeit zwischen Hammond und Stagepiano und traf seine Tasten punktgenau. Nichts von steifer Studioatmosphäre, weit gefehlt. Vom Regieraum aus hatte man durch die eingebauten Fenster Blick zu allen Musikern. Toni wusste selbst durch die Fenster hindurch die Leute abzuholen. So ging es oft nur wenige Minuten bis im Regieraum keiner mehr auf seinem Platz sitzen blieb, sondern sich von Toni’s Spielart mitreissen liessen. Das Arbeitstier war im nächsten Raum zu finden, Schlagzeuger Frank Nilsson, er schonte das Drumkit in keinster Art und Weise. Wer sich einmal dem Kopfhörer entledigt hatte, spürte die pure Kraft mit der er auf die Felle punktgenau und eindrosch. Kein Wunder war Frank nach jedem Song schweissgebadet, zudem stiegen die Temperaturen angefeuert durch den Funken des Funk’s auch innerhalb der Studioräumlichkeiten von Song zu Song. Frank ist eine Maschine, anders kann man das nicht ausdrücken, einmal gestartet, kaum mehr aufzuhalten. Nach der ersten Session meinte er, dass es schon ungewöhnlich war den Kopf zu heben und in Fotoapparate zu schauen. Sein Rezept, die Augen kurz schliessen, sich der Situation bewusst sein, konzentrieren und Spass haben. Bassist Jesper Petersson stand im stetigen Sichtkontakt mit Frank. So verzierte er mit seiner Fender Jazz Precision die Songs mit tiefen Tönen und Slapeinlagen, es war ein Genuss zuzusehen. Und Nein Frank, auch wenn Du mich am Schluss noch davon überzeugen wolltest, ich bleib bei meinen ESP/LTD Bässen, ich bin nicht der Fender Typ. Der unangefochtene Hauptdarsteller jedoch war Paulo Mendonca, von seinen Bandkollegen liebevoll Mendo genannt. Er sass in seiner Kammer, umgeben von neugierigen Besuchern und sang und spielte sich in einen Rausch. Zeigte sich locker und wie schon erwähnt immer wieder für einen Spruch gut. Trotzdem so konzentriert bei der Sache, dass er in einem Song der für uns Gäste längst perfekt schien, noch ein paar kleine Fehler ausmachen konnte. Was für Musiker dann meist in Mehrarbeit ausufert, weil der Song nochmals gespielt werden musste, ist es für die Anwesenden natürlich ein Bonus. Man(n) und Frau kamen so in noch längeren Funkgenuss. Zudem bewertete Paulo jeden Song mit Punkten, was auch immer wieder zu humoristischen Einlagen führte, falls die Punkte dann zu tief ausfielen, wurde der Song nochmals eingespielt. Es ist ja Straight2Tape, ein nachträgliches Editieren und Overdubben geht hier nicht, entweder es sitzt oder eben nicht. Grosses Kino beim letzten Song, da wurde sogar das Publikum in die Aufnahmen mit einbezogen.

Straight2Tape Listening
Straight2Tape Listening

Ich hatte das Vergnügen, oder mehr die Ehre, allen drei Sessions beiwohnen zu dürfen. Ich beobachtete die Gesichter aller Anwesenden und es war unglaublich welche Freude und Begeisterung sich da spiegelten. Das Ziel der Musik ihren Stellenwert zurückzugeben, die sie verdient hat, scheint zumindest an diesem sehr speziellen Sonntag geglückt zu sein. Ralph Zünd scheint alles richtig gemacht zu haben. Ein riesiges Kompliment an ihn und die komplette Organisation. Ich freue mich auf alle Fälle auf alle Straight2Tape Sessions die da noch kommen mögen.
Es war wirklich ein Abend der die Superlativen nicht zu scheuen brauchte, alle Anwesenden werden sicherlich mit mir einig gehen. An welchem «Konzert» hat der Zuschauer schon ohne VIP oder Backstage Pässe die Möglichkeit mit dem Künstler so auf Tuchfühlung zu gehen. Danke Paulo, Frank, Jesper und Toni dass ihr so etwas möglich gemacht habt.

Paulo Mendonca, Toni Farris, Ralph Zünd, Jesper Petersson, Frank Nilsson
Paulo Mendonca, Toni Farris, Ralph Zünd, Jesper Petersson, Frank Nilsson